Joseph von EichendorffMondnachtEs war, als hätt' der HimmelDie Erde still geküsst,Dass sie im BlütenschimmerVon ihm nun träumen müsst.Die Luft ging durch die Felder,Die Ähren wogten sacht,Es rauschten leis' die Wälder,So sternklar war die Nacht.Und meine Seele spannteWeit ihre Flügel aus,Flog durch die stillen Lande,Als flöge sie nach Haus.Rainer Maria Rilke, ParisHerbsttagHerr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren lass die Winde los.Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;gib ihnen noch zwei südlichere Tage,dränge sie zur Vollendung hin, und jagedie letzte Süße in den schweren Wein.Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und herunruhig wandern, wenn die Blätter treiben.Rainer Maria Rilke, ParisDer PantherIm Jardin des Plantes, ParisSein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbeso müd geworden, dass er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbeund hinter tausend Stäben keine Welt.Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht,ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,in der betäubt ein großer Wille steht.Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupillesich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille - und hört im Herzen auf zu sein.Bertolt BrechtErinnerung an Marie A.1An jenem Tag im blauen Mond SeptemberStill unter einem jungen PflaumenbaumDa hielt ich sie, die stille bleiche LiebeIn meinem Arm wie einen holden Traum.Und über uns im schönen SommerhimmelWar eine Wolke, die ich lange sahSie war sehr weiß und ungeheuer obenUnd als ich aufsah, war sie nimmer da.2Seit jenem Tag sind viele, viele Monde Geschwommen still hinunter und vorbeiDie Pflaumenbäume sind wohl abgehauenUnd fragst du mich, was mit der Liebe sei?So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern. Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst.3Und auch den Kuss, ich hätt' ihn längst vergessen Wenn nicht die Wolke da gewesen wärDie weiß ich noch und werd ich immer wissen Sie war sehr weiß und kam von oben her.Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind Doch jene Wolke blühte nur MinutenUnd als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.Johann Wolfgang von GoetheGefundenIch ging im WaldeSo für mich hin,Und nichts zu suchen,Das war mein Sinn.Im Schatten sah ichEin Blümchen stehn,Wie Sterne leuchtend,Wie Äuglein schön.Ich wollt es brechen,Da sagt es fein:Soll ich zum WelkenGebrochen seinIch grub's mit allenDen Würzlein aus.Zum Garten trug ich'sAm hübschen Haus.Und pflanzt es wiederAm stillen Ort;Nun zweigt es immerUnd blüht so fort.Die Ballade vom Brennesselbusch Börries Frhr. von MünchhausenLiebe fragte Liebe: "Was ist noch nicht mein" Sprach zur Liebe Liebe: "Alles, alles dein!"Liebe küßte Liebe: "Liebste, liebst du mich"Küßte Liebe Liebe: "Ewig, ewiglich!"---Hand in Hand hernieder stieg er mit Maleenvon dem Heidehügel, wo die Nesseln stehen,eine Nessel brach er, gab er ihrer Hand,zu der Liebsten sprach er: "Uns brennt heißrer Brand!Lippe glomm auf Lippe, bis die Lust zum Schmerz, bis der Atem stockte, brannte Herz auf Herz, darum, wo nur Nesseln stehn am Straßenrand, wolln wir daran denken, was uns heute band!"Spricht von Treu die Liebe, sagt sie "ewig" nur,-ach, die Treu am Mittag gilt nur bis zwölf Uhr, Treue gilt am Abend, bis die Nacht begann -und doch weiß ich Herzen, die verbluten dran.Krieg verschlug das Mädchen, wie ein Blatt verweht, das im Wind die Wege fremder Koppeln geht,und ihr lieber Liebster stieg zum Königsthron,eine Königstochter nahm der KöSieben Jahre gingen, und die Nessel standsieben Jahr an jedem deutschen Straßenrand,wer hat Treu gehalten Gott alleine weiß,ob nicht wunde Treue brennet doppelt heiß!Bei der Jagd im Walde stand mit schwerem Sinn, stand am Knick der König bei der Königin, Nesselblatt zum Munde hob er wie gebannt,und die Lippe brannte, wie sie einst gebrannt:"Brennettelbusch,Brennettelbusch so kleene,wat steihst du so alleene! Brennettelbusch, wo is myn Tyd' eblewen,un wo is myn Maleen""Sprichst du mit fremder Zunge" frug die Königin, "So sang ich als Junge", sprach er vor sich hin. Heim sie ritten schweigend, Abend hing im Land,- seine Lippen brannten, wie sie einst gebrannt!Durch den Garten streifte still die Königin,zu der Magd am Flusse trat sie heimlich hin, welche Wäsche spülte noch im Sternenlicht,Tränen sahn die Sterne auf der Magd Gesicht:"Brennettelbusch,Brennettelbusch so kleene,wat steihst du so alleene! Brennettelbusch,ik hev de Tyd 'eweten,dar was ik nich alleen!"Sprach die Dame leise: "Sah ich dein Gesichtunter dem Gesinde Nein, ich sah es nicht!"Sprach das Mädchen leiser: "Konntest es nicht sehn, gestern bin ich kommen, und ich heiß Maleen!"-Viele Wellen wallen weit ins graue Meer,eilig sind die Wellen, ihre Hände leer,eine schleicht so langsam mit den Schwestern hin,trägt in nassen Armen eine KöLiebe fragte Liebe: "Sag, weshalb du weinst" Raunte Lieb zur Liebe: "Heut ist nicht mehr wie einst!" Liebe klagte Liebe: "Ists nicht wie vorher"Sprach zur Liebe Liebe: "Nimmer - nimmermehr."Johann Wolfgang von GoetheDer ZauberlehrlingHat der alte Hexenmeistersich doch einmal wegbegeben!Und nun sollen seine Geisterauch nach meinem Willen leben.Seine Wort und Werkemerkt ich und den Brauch,und mit Geistesstärketu ich Wunder auch.Walle! walleManche Strecke,daß, zum Zwecke,Wasser fließeund mit reichem, vollem Schwalle zu dem Bade sich ergieße.Und nun komm, du alter Besen! Nimm die schlechten Lumpenhüllen; bist schon lange Knecht gewesen: nun erfülle meinen Willen!Auf zwei Beinen stehe,oben sei ein Kopf,eile nun und gehemit dem Wassertopf!Walle! wallemanche Strecke,daß, zum Zwecke,Wasser fließeund mit reichem, vollem Schwalle zu dem Bade sich ergieße.Seht, er läuft zum Ufer nieder, Wahrlich! ist schon an dem Flusse, und mit Blitzesschnelle wiederist er hier mit raschem Gusse. Schon zum zweiten Male!Wie das Becken schwillt!Wie sich jede Schalevoll mit Wasser füllt!Stehe! stehe!denn wir habendeiner Gabenvollgemessen! -Ach, ich merk es! Wehe! wehe! Hab ich doch das Wort vergessen!Ach, das Wort, worauf am Ende er das wird, was er gewesen. Ach, er läuft und bringt behende! Wärst du doch der alte Besen! Immer neue Güssebringt er schnell herein,Ach! und hundert Flüssestürzen auf mich ein.Nein, nicht längerkann ichs lassen;will ihn fassen.Das ist Tücke!Ach! nun wird mir immer bänger! Welche Mine! welche Blicke!O du Ausgeburt der Hölle!Soll das ganze Haus ersaufen?Seh ich über jede Schwelledoch schon Wasserströme laufen. Ein verruchter Besen,der nicht hören will!Stock, der du gewesen,steh doch wieder still!Willst am Endegar nicht lassen?Will dich fassen,will dich haltenund das alte Holz behendemit dem scharfen Beile spalten.Seht da kommt er schleppend wieder! Wie ich mich nur auf dich werfe, gleich, o Kobold, liegst du nieder; krachend trifft die glatte Schärfe. Wahrlich, brav getroffen!Seht, er ist entzwei!Und nun kann ich hoffen,und ich atme frei!Wehe! wehe!Beide Teilestehn in Eileschon als Knechtevöllig fertig in die Höhe!Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!Und sie laufen! Naß und nässer wirds im Saal und auf den Stufen. Welch entsetzliches Gewässer! Herr und Meister! hör mich rufen! - Ach, da kommt der Meister! Herr, die Not ist groß!Die ich rief, die Geisterwerd ich nun nicht los."In die Ecke,Besen, Besen!Seids gewesen.Denn als Geisterruft euch nur zu diesem Zwecke, erst hervor der alte Meister."Johann Wolfgang von GoetheWillkommen und Abschied (Spätere Fassung, ~1785)Es schlug mein Herz, geschwind, zu Pferde! Es war getan fast eh gedacht.Der Abend wiegte schon die Erde,Und an den Bergen hing die Nacht; Schon stand im Nebelkleid die EicheEin aufgetürmter Riese, da,Wo Finsternis aus dem GesträucheMit hundert schwarzen Augen sah.Der Mond von einem WolkenhügelSah kläglich aus dem Duft hervor,Die Winde schwangen leise Flügel, Umsausten schauerlich mein Ohr;Die Nacht schuf tausend Ungeheuer, Doch frisch und fröhlich war mein Mut:In meinen Adern welches Feuer!In meinem Herzen welche Glut!Dich sah ich, und die milde FreudeFloß von dem süßen Blick auf mich;Ganz war mein Herz an deiner SeiteUnd jeder Atemzug für dich.Ein rosenfarbnes Frühlingswetter Umgab das liebliche Gesicht,Und Zärtlichkeit für mich - ihr Götter!Ich hofft es, ich verdient es nicht!Doch ach, schon mit der Morgensonne Verengt der Abschied mir das Herz:In deinen Küssen welche Wonne!In deinem Auge welcher Schmerz!Ich ging, du standst und sahst zur ErdenUnd sahst mir nach mit nassem Blick:Und doch, welch Glück, geliebt zu werden! Und lieben, Götter, welch ein GlückJohann Wolfgang von GoetheDer Erlkönig (1778)Wer reitet so spät durch Nacht und WindEs ist der Vater mit seinem Kind;Er hat den Knaben wohl in dem Arm,Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht -Siehst Vater, du den Erlkönig nichtDen Erlenkönig mit Kron und Schweif -Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. -"Du liebes Kind, komm, geh mit mir!Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;Manch bunte Blumen sind an dem Strand, Meine Mutter hat manch gülden Gewand."Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht, Was Erlenkönig mir leise verspricht -Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;In dürren Blättern säuselt der Wind. -"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehnMeine Töchter sollen dich warten schön; Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn Und wiegen und tanzen und singen dich ein."Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort Erlkönigs Töchter am düstern Ort -Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:Es scheinen die alten Weiden so grau. -"Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt." Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an! Erlkönig hat mir ein Leids getan! -Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,Er hält in den Armen das ächzende Kind, Erreicht den Hof mit Mühe und Not;In seinen Armen das Kind war tot.Johann Wolfgang von GoetheAn den MondFüllest wieder Busch und TalStill mit Nebelglanz,Lösest endlich auch einmalMeine Seele ganz;Breitest über mein GefildLindernd deinen Blick,Wie des Freundes Auge mildÜber mein Geschick.Jeden Nachklang fühlt mein Herz Froh- und trüber Zeit,Wandle zwischen Freud' und Schmerz In der Einsamkeit.Fließe, fließe, lieber Fluß!Nimmer werd' ich froh;So verrauschte Scherz und KußUnd die Treue so.Ich besaß es doch einmal,was so köstlich ist!Daß man doch zu seiner Qual Nimmer es vergißt!Rausche, Fluß, das Tal entlang, Ohne Rast und Ruh,Rausche, flüstre meinem Sang Melodien zu!Wenn du in der WinternachtWütend überschwillstOder um die FrühlingsprachtJunger Knospen quillst.Selig, wer sich vor der WeltOhne Haß verschließt,Einen Freund am Busen hältUnd mit dem genießt,Was, von Menschen nicht gewußtOder nicht bedacht,Durch das Labyrinth der BrustWandelt in der Nacht.Heinrich HeineEin Jüngling liebt ein Mädchen Ein Jüngling liebt ein Mädchen,Die hat einen andern erwählt;Der andre liebt eine andre,Und hat sich mit dieser vermählt.Das Mädchen heiratet aus ÄrgerDen ersten besten Mann,Der ihr in den Weg gelaufen;Der Jüngling ist übel dran.Es ist eine alte Geschichte,Doch bleibt sie immer neu;Und wem sie just passieret,Dem bricht das Herz entzwei.Heinrich Heine: Buch der LiederLyrisches Intermezzo--------------------------------------------------------------------------------IIm wunderschönen Monat Mai,Als alle Knospen sprangen,Da ist in meinem HerzenDie Liebe aufgegangen.Im wunderschönen Monat Mai,Als alle Vögel sangen,Da hab ich ihr gestandenMein Sehnen und Verlangen.Erich FriedWas es istEs ist Unsinnsagt die VernunftEs ist was es istsagt die LiebeEs ist Unglücksagt die BerechnungEs ist nichts als Schmerzsagt die AngstEs ist aussichtslos sagt die Einsicht Es ist was es ist sagt die LiebeEs ist lächerlich sagt der StolzEs ist leichtsinnig sagt die Vorsicht Es ist unmöglich sagt die Erfahrung Es ist was es ist sagt die Liebe。